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Magdeburgs Behindertenbeauftragter: „Wie geht es weiter mit Inklusion und Barrierefreiheit in der Stadt?“

Magdeburgs Behindertenbeauftragter: „Wie geht es weiter mit Inklusion und Barrierefreiheit in der Stadt?“ MP KB

Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember

Der 3. Dezember wird weltweit seit rund 20 Jahren als Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen begangen. Er geht auf eine Initiative der Vereinten Nationen zurück. Seit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention im Dezember 2006 rückt der Tag immer wieder in den Fokus, um auf Probleme bei der gleichberechtigten Einbeziehung behinderter Menschen in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aufmerksam zu machen.

Für Magdeburgs Behindertenbeauftragten Hans-Peter Pischner ist der Tag traditionell Anlass, auf aktuelle Erfahrungen und Probleme der Menschen mit Behinderungen in der Landeshauptstadt aufmerksam zu machen:

Landesaktionsplan und Blindengeld
Auch das Land Sachsen-Anhalt hat dem Rechnung getragen und 2010 ein neu gefasstes Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet. Anfang dieses Jahres hat die Landesregierung darüber hinaus einen Landesaktionsplan zur Umsetzung der Konvention beschlossen, der mehr als 160 Maßnahmen enthält. Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser wohlklingenden Papiere sind allerdings begründet, hat doch die Landesregierung keine Bedenken gehabt, in ihrer "alternativlosen" Sparpolitik auch Leistungen für Menschen mit Behinderungen drastisch zu beschneiden, nämlich das Blinden- und Gehörlosengeld. Nur massiven Protesten der Betroffenen und der Öffentlichkeit ist es zu verdanken, dass diese Leistungen nicht wie angekündigt um 6 Millionen Euro gekürzt werden, sondern "nur" um 2,3 Millionen.

Am gravierendsten werden dabei blinde Menschen, die in Pflegeheimen leben, und Schüler und Umschüler an Bildungseinrichtungen benachteiligt. Sie erhalten künftig keine Unterstützung mehr vom Land. In der Stadt Magdeburg sind rund 350 blinde Menschen betroffen, von denen rund 20 Prozent in Altenpflegeheimen leben.

Die zentralen Begriffe der UN-Behindertenrechtskonvention sind Inklusion und Barrierefreiheit. Wie steht es damit in Magdeburg zum Ende des Jahres 2013?

Barrierefreie Schulen, Kitas und neues Stadtarchiv
Immer mehr Schulen konnten in den vergangenen Jahren saniert und dabei barrierefrei umgebaut werden. Kürzlich konnten die Grundschule "Am Kannenstieg und die Comenius-Förderschule in der Kritzmannstraße an die Schüler und Lehrer übergeben werden. Beide sind im Hinblick auf die Barrierefreiheit vorbildlich. Auch die BBS "Eike von Repgow" wurde fertig saniert übergeben.

Derzeit wird noch in den Schulgebäuden Albert-Vater-Straße und Pechauer Platz gearbeitet. Auch diese sollen nach der Fertigstellung barrierefrei nutzbar sein. Dies gilt selbstverständlich auch für die drei Kitas, die auf Beschluss des Stadtrates neu errichtet werden.

Auch das Stadtarchiv konnte ein saniertes Gebäude in der Mittagstraße beziehen, das auch für behinderte Nutzer voll zugänglich ist.

Demnächst soll auch die "Lindwurmbrücke" in Magdeburg-Nord für Rollstuhl- und Rollatornutzer, Kinderwagen und Fahrräder besser passierbar sein, die zu steilen Rampen werden spürbar abgeflacht. Auch dies war ein lang gehegter Wunsch vieler Betroffener. Bei der anstehenden weiteren Umgestaltung des Domplatzes muss jedoch noch einiges für eine barrierefreie Erreichbarkeit getan werden.

Obwohl noch viele Wünsche offen sind, konnten auch die von den Hochwasserschäden gebeutelten Magdeburger Verkehrsbetriebe in diesem Jahr Verbesserungen der Barrierefreiheit erreichen: Dies betrifft die neuen Haltestellen auf der Strecke nach Reform und die Haltestelle Domplatz/Danzstraße. Bei den Haltestellen Otto-von-Guericke-Straße/Verkehrshaus und Zoo sowie am Quittenweg sind die Arbeiten noch im Gange.

Alles in allem ist das eine sehr erfreuliche Bilanz für 2013, und dies trotz der bekannten angespannten Lage des städtischen Haushalts.

Neue Dringlichkeitsliste
Anfang Mai verabschiedete der Stadtrat eine neue "Dringlichkeitsliste zur Verbesserung der Barrierefreiheit", die längerfristige Ziele enthält, etwa bei öffentlich zugänglichen Gebäuden und noch nicht barrierefreien Haltestellen der MVB. Die Liste wurde unter Einbeziehung der kommunalen AG der Menschen mit Behinderungen erarbeitet. Sie ist bereits die vierte ihrer Art seit 2005. Es geht allerdings nicht nur um Verbesserungen bei kommunalen Gebäuden und Einrichtungen, auch private Eigentümer von bisher nicht barrierefreien Objekten sind angesprochen.

Schulische Inklusion stagniert
Ein wichtiges Anliegen der UN-Behindertenrechtskonvention ist es, auch Schülern mit Behinderungen den Besuch allgemeinbildender Schulen mit den nicht behinderten Gleichaltrigen zu ermöglichen. Nach wie vor lernt jedoch eine relativ hohe Zahl von Schülern an den 10 Förderschulen in Magdeburg. Von den rund 1.128 Förderschülern am Schuljahresbeginn 2013/2014 in der Stadt lernen 473 an Förderschulen für Lernbehinderte. Diese Zahlen sind gegenüber dem Vorjahr praktisch unverändert. Die Schülerzahlen des gemeinsamen Unterrichts stagnieren dagegen erstmals seit mehreren Jahren. Wurden 2012 noch 434 Schüler inklusiv an Regelschulen unterrichtet, sind es derzeit nur noch 425.

An der Förderschule für Körperbehinderte lernen 119 Schüler (Vorjahr 114), viele von ihnen stammen aber aus dem Umland. An den Förderschulen für geistig Behinderte lernen 279 Mädchen und Jungen (Vorjahr 273). Das ist eine leichte Steigerung. Der Anteil der Förderschüler liegt bei rund 6 Prozent. Die meisten von ihnen erreichen keinen verwertbaren Schulabschluss und gehören zu den rund 10 Prozent aller Schüler, die derzeit in Sachsen-Anhalt die Schule ohne verwertbaren Abschluss verlassen. Mit Mecklenburg-Vorpommern liegt Sachsen-Anhalt hier bundesweit an der "Spitze".

Ich hoffe, dass die Gemeinschaftsschulen, die aus den Sekundarschulen hervorgehen, sich künftig der inklusiven Betreuung behinderter und benachteiligter Schüler stärker annehmen werden.

Spürbare soziale Benachteiligung
Viele schwerbehinderte Magdeburger leben in durchaus gesicherten Verhältnissen, soweit sie zum Beispiel noch auskömmliche Altersrenten beziehen. Dennoch nehmen soziale Schwierigkeiten und materielle Bedürftigkeit unter den Betroffenen weiter zu. Dies betrifft insbesondere Familien mit schwerstbehinderten Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen, die häufig auf Grundsicherung angewiesen sind.

Die Fallzahlen der Grundsicherung nach dem SGB XII  (Sozialhilfe) steigen weiter, derzeit gibt es bereits mehr als 2.000Fälle. Gleiches gilt für die Hilfe zur Pflege für Pflegebedürftige, die die Kosten der Heimbetreuung nicht aus eigenen Mitteln stemmen können. Das sind zurzeit etwa 700 von rund 3.000 Heimbewohnern in Magdeburg.

Im Schnitt sind rund 350 als arbeitsfähig geltende Menschen mit Behinderungen und ihre Familien auf Hartz IV angewiesen und werden vom Jobcenter der Landeshauptstadt betreut. Ihre Vermittlungschancen auf dem 1. Arbeitsmarkt sind jedoch gering, im vergangenen Jahr gelang dies in 36 Fällen. Weitere Betroffene befinden sich in Maßnahmen. Sie profitieren jedenfalls noch nicht vom prognostizierten, viel beschworenen  Fachkräftemangel.

Viele Schwerbehinderte klagen immer wieder über hohe Hürden, die sie überwinden müssen, um von Krankenkassen mit notwendigen Hilfs- und Verbrauchsmitteln versorgt zu werden, z.B. mit speziell angepassten Rollstühlen. Ohne eigene Zuzahlungen ist eine adäquate Versorgung häufig nicht möglich.

Behinderte Menschen, die eine barrierefreie Wohnung benötigen, müssen aus Kostengründen oft Abstriche machen, obwohl viele neu gebaute Wohnungen durchaus barrierefrei geplant werden oder leicht nachzurüsten sind.

Solche Probleme werden zunehmen, wenn das Rentenniveau weiter wie geplant absinkt.

Auch die Beschäftigtenzahlen in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und die Fallzahlen der Frühförderung für behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder steigen weiter. Immerhin gibt es auf diesen Gebieten verlässliche Angebote in Magdeburg.

Dies alles unterstreicht die Forderung nach einem bundeseinheitlichen Teilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen, das in allen Bundesländern vergleichbare Lebensbedingungen und Unterstützungsleistungen für Betroffene garantiert. Es muss endlich aufhören, dass behinderte Menschen in Sachsen-Anhalt deutlich schlechter gestellt sind als etwa in Berlin oder Bayern.

Zumindest die Stadt Magdeburg wird sich in ihrer kommunalen Zuständigkeit weiter für die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen einsetzen.

Hans-Peter Pischner
Behindertenbeauftragter der
Landeshauptstadt Magdeburg

Hintergrund
In Sachsen-Anhalt leben derzeit rund 175.000 anerkannte Schwerbehinderte. Das sind 7,6 Prozent der Bevölkerung. Im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil bei  8,9 Prozent, also deutlich höher. In der Landeshauptstadt waren im Dezember 2012 rund 17.000 Menschen amtlich als Schwerbehinderte anerkannt (7,3 Prozent), einschließlich der Behinderten mit einem Grad der Behinderung (GdB) unter 50 sind bis zu 25.000 Menschen betroffen (11 Prozent).
Von den Magdeburger Schwerbehinderten sind rund 9.300 in ihrer Mobilität wesentlich beeinträchtigt (Merkzeichen aG und G), Schätzungsweise 2.000 von ihnen sind auf einen Rollstuhl angewiesen. 309 sind blind, 201 gehörlos und ca. 4.100 haben Anspruch auf die Mitnahme einer Begleitperson im ÖPNV (Merkzeichen B). Als hilflos gelten 2.054 Menschen (Merkzeichen H).

Fast 2.300 Magdeburger besitzen das Merkzeichen RF und zahlen aufgrund von seh- oder Hörbehinderung oder schwerer Behinderung einen ermäßigten Rundfunkbeitrag, soweit sie nicht wegen geringen Einkommens ganz befreit werden.

Etwa 58 Prozent der Betroffenen sind bereits 65 Jahre und älter, während nur 2,1 Prozent jünger als 18 Jahre sind. 52,1 Prozent der Behinderten sind weiblich.

An den beiden Magdeburger Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind über 1.000 Betroffene beschäftigt. Rund 900 Menschen mit Behinderungen leben in stationären Einrichtungen (Heime bzw. Wohnstätten an den Werkstätten).

Etwa 6.700 Magdeburger sind pflegebedürftig, mehr als 2.600 von ihnen werden in stationären Einrichtungen gepflegt, die übrigen in der Familie oder von ambulanten Pflegediensten.

Nähere Informationen:
Hans-Peter Pischner, Behindertenbeauftragter,
Telefon 03 91/5 40 23 42
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Quelle: Stadt Magdeburg

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